drawing, film, painting
Geschichtlich gesehen, war die Zeichnung lange Zeit kein autonomes Medium. Niemand machte sich viel Gedanken über die Zeichnung, ob die Zeichnung abstrakt oder nicht abstrakt war. Die Zeichnung diente, um etwas darzustellen oder ein Zeichen für etwas zu finden; als Skizze, Studie oder als Vorbereitung einer Malerei.
Für mich heute ist der wichtigste Aspekt der Zeichnung, der Unterschied zwischen der Linie und der Zeichnung selbst.
Die Linie ermöglicht Bewegung im Raum sichtbar zu machen, etwa Tanz, Schreiben oder Sprechen. Eine Linie kann ein Wort, ein fliegendes Blatt, eine vorübergehende, eine zufällige oder eine bewusste Bewegung darstellen. Die festgehaltene Bewegung zeichnet eine Form auf der Fläche auf:
Eine Strecke von A nach B.
A––––––––––––––––––B
Ich muss eine Linie ziehen, um eine Strecke sichtbar zu machen. Ich muss eine Linie ziehen, um Bewegung sichtbar zu machen. Schreiben ist hierfür ein gutes Beispiel. Schreiben macht Sprache mithilfe der Linie sichtbar. Schreiben zeigt die Länge einer Bewegung auf; von links nach rechts, von oben nach unten, von rechts nach links. Ist Sprache Bewegung? Immerhin hat Sprechen eine Richtung und eine Dauer, welche durch Schreiben oder Aufzeichnen einer Frequenz linear sichtbar gemacht werden kann.
Warum zeichne ich? Warum muss ich etwas sichtbar machen? Bestimmt nicht nur aus dem Grund etwas nicht zu vergessen, oder an etwas zu erinnern, da ich auch manchmal Zeichen verwische oder wegradiere, um etwas verschwinden zu lassen, das zu viele Spuren hinterließ.
Die Sprache und das Sprechen, kann ich nur zeitlich begrenzt festhalten, sie ändert sich ständig. Die geschriebene Sprache jedoch bleibt als Zeichen bestehen, das seine Bedeutung für längere Zeit behält. Die geschriebene Sprache bleibt als ein Zeichen in der Vorstellung oder als eine festgehaltene Bewegung bestehen.
Die Zeichnung bildet das Sichtbare ab und macht Vorstellungen, Ideen, Reflexionen und Intuitionen sichtbar. Zeichnung beinhaltet viele formale Unterschiede. Zeichnung kann Dokumentation, Information oder Kunst sein. Sie ist immer Kommunikation.
Wenn ich alle sichtbaren Formen als Innen und Aussen betrachte, entstehen aneinanderhängende Flächen, die schließlich ein Muster bilden. Ich kann mithilfe der Linie alle Abstände und Zwischenräume mit Innen und Aussen verbinden / verknüpfen. Jede Form wird zum Teil einer endlosen Verknüpfung.
Die Zeichnung, Abbild und Bild hingegen widersetzen sich dieser Idee des Musters und versuchen immer das Innen zu sein, mit Behauptungen zu wissen wie die Form zu sein hat. Es entsteht eine festgelegte, bestimmte Form, deren Inhalt die Vorstellung bestimmt.
Die Linie dagegen fügt sich ein, schafft eine Fortsetzung, eine endlose Möglichkeit von Form, Grenze, Bezeichnetem und Unbezeichnetem, Sichtbarem und Unsichtbarem. Die Linie wird hier zum Medium für Wiederholung und Form.
Der Rhythmus, die Bewegung und die Zeit liegen in der Linie selbst. Den Rhythmus, Komposition, Bewegung, Unterscheidung und Entscheidung zu finden, das liegt zwischen Abstraktion und Nicht – Abstraktion. Letztendlich liegt der Unterschied darin, dass, wenn ich einen Tänzer zeichne, die Bewegung eines Tänzers zeichne, ich auf gewisse Weise abstrahiere, da es einen Inhalt gibt, ein Motiv.
Aber, wenn ich eine Linie zeichne, wird die Unterscheidung nur durch eine Linie gezeigt, der Rhythmus der Linie ist die Zeichnung. Die Zeichnung ist die Linie, die reine Linie: dann ist die Linie eine Linie und keine abstrakte Linie. Es ist eine Linie. Diese Linie ist der Inhalt, das Motiv der Zeichnung. Die Linie wird zur Form, wie in der geschriebenen Sprache. Genauso wie Buchstaben benutzt werden und deren Bedeutung / Sinn gefunden werden muss. Sprechen zum Beispiel ist nicht abstrakt, ein Buchstabe als ein Buchstabe ist nicht abstrakt. Der Laut der Sprache ist ein Teil der Realität, auch der Buchstabe. Nur durch die Bedeutung in der Vorstellung wird der Buchstabe abstrakt.
Die Linie auf einer Fläche legt eine Grenze fest. „Drawing a distinction“ zeigt den unbezeichneten und bezeichneten Raum. Die Linie macht das Unbezeichnete sichtbar und wird zur Form. Die Linie ist erst unbezeichnet und wird durch Zeichnung oder Schrift zum Inhalt.
Was ist Abstraktion?
Die Tänzerin – hier ist die Zeichnung ein Abstrahieren von der Tänzerin, in einer Komposition als Zeichnung und Schrift.
Die Linie, als solche, auf einer Fläche ist keine Abstraktion – sie ist eine Linie.
Was ist eine Linie?
Eine Linie auf einer Fläche kann durch Zufall entstehen, kann etwas bezeichnen oder aufzeichnen. Wenn ich herumgehe und Linien, Zeichnungen, Kratzer, Striche (Kompositionen) an der Wand oder auf dem Boden entdecke, die durch Zufall, durch das „wirkliche Leben“, entstanden sind, erscheinen sie mir wie ein Abdruck der Welt.
Unsichtbares sichtbar und Sichtbares sichtbar machen, unter dem Einfluss der Geschichte der Zeichnung ein Gleichgewicht zu finden – bedeutet Zeichnung.
Veronika Wenger, red line, 2016, 135 x 150 cm, pencil and marker on plastics. Photo © Klaus Mauz
RHYTHM SECTION IM SCHAFHOF
20. 2. ‒ 17. 4. 2017
19. Februar, Sonntag
SYMPOSIUM UND VERNISSAGE
Schafhof – Europäisches Künstlerhaus Oberbayern
European House of Art Upper Bavaria
Am Schafhof 1, 85354 Freising
www.schafhof-kuenstlerhaus.de
15 Uhr: SYMPOSIUM
Shuttlebus ab Bhf Freising:
14.30-14.50 Uhr
Vorträge von Mitgliedern und Gästen von Rhythm Section:
RHYTHM OF THE UTOPIAS
Vortrag von
Ezgi Bakcay
(Kunsthistorikerin, Istanbul)
in englischer Sprache
THE ROLE OF SCANNING AND KINESTHESTIC MODES OF PERCEPTION IN RELATION TO RHYTHM WITHIN THE VISUAL ARTS
Vortrag von
Michael Wright
(Künstler, London)
in englischer Sprache
HELP ALIVE INSIDE.
IM INNERSTEN DER ZEICHNUNG
Vortrag von
Veronika Wenger
(Künstlerin, München)
in deutscher Sprache
FORSCHUNG ZUM RHYTHMUS IN DER MODERNEN KUNST: INTERNATIONALE KOLLABORATIVE ERFAHRUNG
Vortrag von
Dmytro Goncharenko
(Kurator, Kiew/Berlin)
in deutscher Sprache
8 Uhr: VERNISSAGE
Shuttlebus ab Bhf Freising: 17.30-17.50 Uhr; zurück: 19.45 Uhr
Grußwort:
Eike Berg
(Leiter des Europäischen Künstlerhauses)
Einführung:
Jochen Meister
(Kunstvermittler, München)
Die Künstlergruppe Rhythm Section besteht aus zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Sparten, die sich explizit und bewusst in ihrem Werk mit Rhythmus beschäftigen. Der Austausch und die Dynamik, die aus solcher Zusammenstellung unterschiedlicher Einsätze und Medien entsteht, liefert neue Ansätze für die Kunst heute.
Es handelt sich dabei um das bisher größte Projekt dieser Art zwischen Niederlande, Großbritannien, China, Türkei und Deutschland, das sich mit dem Thema Rhythmus in der bildenden Kunst beschäftigt. Dieses Projekt soll einen intensiven kulturellen Austausch von Künstlern verschiedenster Nationalitäten anregen und helfen ein internationales Netzwerk zwischen diesen Ländern zu bilden.